Faszinierender Sonnenaufgang in FL 75

Der Altweibersommer ist ja auch als die Zeit des Genießens bekannt und das hatte ich mir auch bewusst so vorgenommen: Das einzigartige Licht des Sonnenaufgangs und die herrliche Morgenstimmung wollte ich ganz bewusst auf mich wirken lassen. Und wo kann das besser gelingen als in einer Flughöhe von 7.500 ft./MSL aus dem priviligierten Beobachtersitz unseres Motorseglers?

Das Wetter spielte durch das anhaltende Hoch prima mit, leider konnte weder mein Bruder noch ein Vereinskamerad zum freiwilligen Frühaufstehen am Samstagmorgen über-redet werden. So klingelte lediglich mein eigener Wecker um 5.30 in Voll-maringen und – ebenfalls unter Protest – konnte ein Familienmitglied als Be-obachter rekrutiert werden. Der Rattel war schnell aus-geräumt und zur Sicherheit wurde noch eine Kanne Sprit nachgefüllt.

Noch in der Dämmerung wurde der Außencheck durchgeführt und der Motor auf Betriebstemperatur warmlaufen gelassen. Pünktlich zur gesetzlichen sunset-Zeit hob ich dann auf unserer Bahn  25 ab und wurde sofort nach dem Abheben durch die immer wieder neu empfundene Faszination solcher Flüge für das frühe Aufstehen reichlich belohnt: Noch überall brannten unten die Lichter und das ganze Nagoldtal war ab Emmingen als weiße Nebelschnur deutlich aus dem dämmrigen Licht auszumachen.

Obwohl ich eigentlich gleich nach Süden ziehen wollte, musste ich unserer Heimatstadt mit einer kleinen Runde auf diese besondere Art und Weise einfach „guten Morgen“ sagen. Der Anblick der so schön im Morgendunst da liegenden Stadt hatte irgend etwas märchen-haftes, jedenfalls hat es mich auf angenehme Art und Weise berührt und mir war so, als ob sich die unschuldige Stille dieses Morgens auf mich übertragen wollte.

Passend dazu habe ich dem ROTAX nur wenig Leistung abverlangt, gemächlich und ruhig ließ ich den Motorsegler mit ca. 3.800 Umdrehungen und 120 km/h dahin ziehen. Der Propeller konnte dabei auf ca. 1800 ziemlich weit heruntergeregelt werden, sodaß bei geringem Ladedruck der Spritverbrauch bei sparsamen 12 Litern lag. Eine Reduzierung der Fahrt auf 90 km/h ergab bei dieser Konfiguration ein moderates Steigen von 1 m/sec. mit dem ich dann an Eutingen vorbei Richtung Süden gestiegen bin.

Mit Blick nach links wurde es dann immer heller und ich war ganz gespannt, wann und in welcher Höhe denn die Sonne aufgehen würde und ob ich trotz ein paar mittelhoher Schicht-wolken einen unge-hinderten Blick auf sie bekommen würde. Das Rätsel löste sich dann in der Nähe von Haigerloch: Genau in FL 75 konnte ich außerhalb des Sektors Schwarzwald weitersteigen und die Sonne ging als riesiger blutroter Feuerball an meinem linken Flügel auf.

Millimeterweise schob sie sich über den Horizont und es war für mich ein bewegendes Naturschauspiel, über das ich wirklich nur staunen konnte. Inzwischen mit der Sonnenbrille „bewaffnet“ genoss ich dieses Spektakel so lange, bis der Kraftspender allen irdischen Lebens anfing, mich ordentlich zu blenden.

Mit einem alten Flieger-Indianertrick konnte ich diesem Phänomen Abhilfe schaffen, indem ich die Sonne mit dem linken Flügel quasi „abgedeckt“ habe. Noch herrlicher waren dann die Farben, die sich in dem Gegenlicht ergaben: Von orangerot unten bis ins türkisblaue weiter oben reichte die himmlische Farbpalette, aus dem Staunen und Beobachten dieser einzig-artigen Naturstimmung kam ich jedenfalls nicht mehr heraus.

Mein Flug führte weiter nach Süden bis ans Klippeneck. Dort zeigte sich, bei zunehmenden Tageslicht, die westliche schwäbische Alb ebenfalls von ihrer besten Seite. Deutlich wurde ihre zerklüftete und hügelige Struktur durch den Dunst an der Bodeninversion sichtbar. Spontan kam mir ein Gedicht meines schwäbischen Lieblingsautors August Lämmle in den Sinn: „Steig nuff da Berg, guck naus ens Land, was mir für a scheene Heimat hand...“ Würde er noch leben, ich würde ihn sofort zu einem solchen Flug einladen! Und hier schien es mir schon fast als Verlust, diese Eindrücke „nur“ alleine machen zu dürfen und sie mit niemandem teilen zu können. Und als ob das nicht schon genug der Eindrücke wären, setzten nun auch noch die Alpen eines oben drauf und zeigten sich mir mit den noch schneebedeckten Gipfeln des Berner Oberlandes im rötlichen Sonnenaufgang. Fliegerherz, was willst Du mehr?

Mit Kurs auf das heimatliche Segelfluggelände Haiter-bach-Nagold habe ich in FL 95 das Triebwerk aus-gemacht und den Propeller in Segelstellung gebracht. Der C-Falke durfte nun seine Gleitzahl von 1:23 mit einem gleichmässigen Sinken von gut 1 m/sec. in Strecke umsetzen, was für die Distanz von 47 Kilometern sogar mit einem Sicherheitspolster gut gereicht hat. Eine halbe Stunde dauerte der seelenruhige Gleitflug, auf dem mein Blick zur rechten immer wieder der Sonne wie einem „alten Bekannten“ zuzwinkerte und ich auf der linken Seite den ebenfalls erwachenden Schwarzwald fast in seiner ganzen Ausrichtung bewundern durfte.

Nach anderthalb Stunden hatte mich die Erde wieder und ich war in den Alltag ehrenamtlicher fliegerischer Verpflichtungen eingebunden. Allerdings bin ich offenbar die Aufgaben – es waren drei Prüfungen abzunehmen – mit großer Gelassenheit angegangen, jedenfalls brauchte keiner der Prüflinge eine Übung zu wiederholen. Den stimmungsvollen Tag im späten September hat dann ein fast dreistündiger Thermikflug im Discus abgerundet, auf dem ich wohl das Glück des Tüchtigen hatte: Jetzt durfte ich nämlich in 2.100 Metern Höhe nach dem letzten „Bart“ im Westen einen nicht weniger beeindruckenden Sonnenuntergang über dem nördlichen Schwarzwald beobachten.

Einen solch herrlichen Tag tatsächlich von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang fliegerisch zu erleben bedeutet für mich eine ganz besondere Lebens-qualität. Sehr dankbar bin ich dafür, die Natur mit ihren Landschaften und Stimmungen auf diese intensive Art und Weise erleben zu dürfen. Und ich wünsche mir, dass mich bei den nächsten Flügen Freunde begleiten, mit denen ich diese Eindrücke teilen kann.

Michael Zistler

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