Der Altweibersommer
ist ja auch als die Zeit des Genießens bekannt und das hatte ich mir auch
bewusst so vorgenommen: Das einzigartige Licht des Sonnenaufgangs und die
herrliche Morgenstimmung wollte ich ganz bewusst auf mich wirken lassen. Und
wo kann das besser gelingen als in einer Flughöhe von 7.500 ft./MSL aus dem
priviligierten Beobachtersitz unseres Motorseglers?
Das
Wetter spielte durch das anhaltende Hoch prima mit, leider konnte weder mein
Bruder noch ein Vereinskamerad zum freiwilligen Frühaufstehen am Samstagmorgen
über-redet werden. So klingelte lediglich mein eigener Wecker um 5.30 in
Voll-maringen und – ebenfalls unter Protest – konnte ein Familienmitglied als
Be-obachter rekrutiert werden. Der Rattel war schnell aus-geräumt und zur
Sicherheit wurde noch eine Kanne Sprit nachgefüllt.
Noch in
der Dämmerung wurde der Außencheck durchgeführt und der Motor auf
Betriebstemperatur warmlaufen gelassen. Pünktlich zur gesetzlichen sunset-Zeit
hob ich dann auf unserer Bahn 25 ab und wurde sofort nach dem Abheben durch
die immer wieder neu empfundene Faszination solcher Flüge für das frühe
Aufstehen reichlich belohnt: Noch überall brannten unten die Lichter und das
ganze Nagoldtal war ab Emmingen als weiße Nebelschnur deutlich aus dem
dämmrigen Licht auszumachen.
Obwohl
ich eigentlich gleich nach Süden ziehen wollte, musste ich unserer Heimatstadt
mit einer kleinen Runde auf diese besondere Art und Weise einfach „guten
Morgen“ sagen. Der Anblick der so schön im Morgendunst da liegenden Stadt
hatte irgend etwas märchen-haftes, jedenfalls hat es mich auf angenehme Art
und Weise berührt und mir war so, als ob sich die unschuldige Stille dieses
Morgens auf mich übertragen wollte.
Passend
dazu habe ich dem ROTAX nur wenig Leistung abverlangt, gemächlich und ruhig
ließ ich den Motorsegler mit ca. 3.800 Umdrehungen und 120 km/h dahin ziehen.
Der Propeller konnte dabei auf ca. 1800 ziemlich weit heruntergeregelt werden,
sodaß bei geringem Ladedruck der Spritverbrauch bei sparsamen 12 Litern lag.
Eine Reduzierung der Fahrt auf 90 km/h ergab bei dieser Konfiguration ein
moderates Steigen von 1 m/sec. mit dem ich dann an Eutingen vorbei Richtung
Süden gestiegen bin.
Mit Blick
nach links wurde es dann immer heller und ich war ganz gespannt, wann und in
welcher Höhe denn die Sonne aufgehen würde und ob ich trotz ein paar
mittelhoher Schicht-wolken einen unge-hinderten Blick auf sie bekommen würde.
Das Rätsel löste sich dann in der Nähe von Haigerloch: Genau in FL 75 konnte
ich außerhalb des Sektors Schwarzwald weitersteigen und die Sonne ging als
riesiger blutroter Feuerball an meinem linken Flügel auf.
Millimeterweise schob sie sich über den Horizont und es war für mich ein
bewegendes Naturschauspiel, über das ich wirklich nur staunen konnte.
Inzwischen mit der Sonnenbrille „bewaffnet“ genoss ich dieses Spektakel so
lange, bis der Kraftspender allen irdischen Lebens anfing, mich ordentlich zu
blenden.
Mit
einem alten Flieger-Indianertrick konnte ich diesem Phänomen Abhilfe schaffen,
indem ich die Sonne mit dem linken Flügel quasi „abgedeckt“ habe. Noch
herrlicher waren dann die Farben, die sich in dem Gegenlicht ergaben: Von
orangerot unten bis ins türkisblaue weiter oben reichte die himmlische
Farbpalette, aus dem Staunen und Beobachten dieser einzig-artigen
Naturstimmung kam ich jedenfalls nicht mehr heraus.
Mein Flug
führte weiter nach Süden bis ans Klippeneck. Dort zeigte sich, bei zunehmenden
Tageslicht, die westliche schwäbische Alb ebenfalls von ihrer besten Seite.
Deutlich wurde ihre zerklüftete und hügelige Struktur durch den Dunst an der
Bodeninversion sichtbar. Spontan kam mir ein Gedicht meines schwäbischen
Lieblingsautors August Lämmle in den Sinn: „Steig nuff da Berg, guck naus ens
Land, was mir für a scheene Heimat hand...“ Würde er noch leben, ich würde ihn
sofort zu einem solchen Flug einladen! Und hier schien es mir schon fast als
Verlust, diese Eindrücke „nur“ alleine machen zu dürfen und sie mit niemandem
teilen zu können. Und als ob das nicht schon genug der Eindrücke wären,
setzten nun auch noch die Alpen eines oben drauf und zeigten sich mir mit den
noch schneebedeckten Gipfeln des Berner Oberlandes im rötlichen Sonnenaufgang.
Fliegerherz, was willst Du mehr?
Mit Kurs
auf das heimatliche Segelfluggelände Haiter-bach-Nagold habe ich in FL 95 das
Triebwerk aus-gemacht und den Propeller in Segelstellung gebracht. Der C-Falke
durfte nun seine Gleitzahl von 1:23 mit einem gleichmässigen Sinken von gut 1
m/sec. in Strecke umsetzen, was für die Distanz von 47 Kilometern sogar mit
einem Sicherheitspolster gut gereicht hat. Eine halbe Stunde dauerte der
seelenruhige Gleitflug, auf dem mein Blick zur rechten immer wieder der Sonne
wie einem „alten Bekannten“ zuzwinkerte und ich auf der linken Seite den
ebenfalls erwachenden Schwarzwald fast in seiner ganzen Ausrichtung bewundern
durfte.
Nach
anderthalb Stunden hatte mich die Erde wieder und ich war in den Alltag
ehrenamtlicher fliegerischer Verpflichtungen eingebunden. Allerdings bin ich
offenbar die Aufgaben – es waren drei Prüfungen abzunehmen – mit großer
Gelassenheit angegangen, jedenfalls brauchte keiner der Prüflinge eine Übung
zu wiederholen. Den stimmungsvollen Tag im späten September hat dann ein fast
dreistündiger Thermikflug im Discus abgerundet, auf dem ich wohl das Glück des
Tüchtigen hatte: Jetzt durfte ich nämlich in 2.100 Metern Höhe nach dem
letzten „Bart“ im Westen einen nicht weniger beeindruckenden Sonnenuntergang
über dem nördlichen Schwarzwald beobachten.
Einen
solch herrlichen Tag tatsächlich von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang
fliegerisch zu erleben bedeutet für mich eine ganz besondere Lebens-qualität.
Sehr dankbar bin ich dafür, die Natur mit ihren Landschaften und Stimmungen
auf diese intensive Art und Weise erleben zu dürfen. Und ich wünsche mir, dass
mich bei den nächsten Flügen Freunde begleiten, mit denen ich diese Eindrücke
teilen kann.
Michael
Zistler
Bei
Rückfragen 0163/6349752